Alle Jahre wieder passiert es gegen Jahresende, dass jeder Pseudo-Journalist meint, der Welt seine persönlichen Top Ten von diesem oder jenem mitteilen zu müssen. Da wird auch dieser Blog keine Ausnahme sein. Als Möchtegern-Musikkritiker bin ich fest davon überzeugt, dass die vielen Stunden, Tage, Wochen und Monate, die ich mich dieses Jahr der Musik hingab, nicht umsonst gewesen sein können, ja dürfen! Insofern folgt an dieser Stelle der erste Teil meiner Serie der - natürlich zehn - besten Alben dieses Jahres. Verdammt! Tausende Alben wurden veröffentlicht, doch nur die Besten der Besten haben es in diese Liste geschafft. Also lest und besorgt euch diese Platten bzw. CDs bzw. digitale Dateien!!
PLATZ 2: FARIN URLAUB RACING TEAM - DIE WAHRHEIT ÜBERS LÜGEN
31. Oktober 2008. Die bemitleidenswerten Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Sachsen treffen heute auf verschlossene Media-Märkte und „Tante Emma“-Plattenläden. Weil vor 491 Jahren irgend so ein Querdenker mit ähnlichem Namen wie der amerikanische Bürgerrechtler meinte, Thesen an eine Schlosskirche tackern zu müssen und in besagten Bundesländern (und übrigens auch in Chile und Slowenien) der 31. Oktober deshalb ein gesetzlicher Feiertag ist, müssen die Menschen in den neuen Bundesländern drei Tage länger warten, bis sie das neue Album des Farin Urlaub Racing Teams in den Händen halten dürfen. Ich komme zwar selbst aus Brandenburg, habe allerdings das Glück, nur wenige Kilometer von Berlin entfernt zu leben. So kam ich doch schon am Veröffentlichungstag in den Genuss von Die Wahrheit übers Lügen.
Das dritte Studioalbum Farin Urlaubs ist zugleich das erste des Farin Urlaub Racing Teams. Die ersten beiden Alleingänge spielte der erste Punk Frohnaus noch selbst ein, das zwischendrin erschienene Livealbum of Death erschien schon unter dem Namen Farin Urlaub Racing Team und nun spielte das seinen Namensgeber seit 2002 live begleitende 12-köpfige Farin Urlaub Racing Team die Platte gemeinsam ein. Der alleinige Songwriter Urlaub unterwarf sich sogar demokratischen Grundprinzipien innerhalb der Band, was zur Folge hatte, dass ein Stück namens „Lieblingslied“ nicht das Licht der Welt erblicken durfte. Trotz dieser hohen Ansprüche haben es 15 Stücke geschafft, auf eineinhalb Tonträgern veröffentlicht zu werden.
Das Große Album („Büffelherde“) enthält elf Mal Rockmusik, das Kleine Album („Ponyhof“) vier Mal Offbeat, was Angaben des Banddiktators zufolge konzeptionell nicht zusammen gepasst hätte. Mit anderen Worten: Die Büffelherde hätte die süßen Ponys wohl tot getrampelt. Mit wiederum anderen Worten: Die Stücke des Kleinen Album gehören zusammen und würden auf dem Großen Album womöglich untergehen. Im Folgenden soll jedes Lied für sich betrachtet und begutachtet werden.
Nichimgriff: Die vorab veröffentlichte Single eröffnet die Büffelherde. Und so klingt es auch. Die harten Riffs und das druckvolle Spiel erinnern an „Mehr“, den Opener des letzten Albums Am Ende der Sonne. Und auch textlich haut Farin Urlaub in die gleiche Kerbe wie z.B. bei „Porzellan“. Bewertung: 2/5 Punkte.
Unscharf: Knüpft musikalisch nahtlos am Opener an. Die Melodie besitzt die für Am Ende der Sonne typische Signatur: vielschichtig und dennoch eingängig. Damit ist das FURT erstmal auf der sicheren Seite. Thematisch behandelt das Stück einen Menschen, aus dem man einfach nicht schlau wird. Bewertung: 5/5 Punkte.
Gobi Todič: Noch ein typisches Farin Urlaub-Stück. Jetzt drängen auch endlich die ersten Bläsersätze in den Vordergrund. Obwohl Farin Urlaub solche Songs zuhauf zu schreiben vermag, wirken sie nie wie ihre eigenen Plagiate. Den Song umwebt zudem eine mysteriöse Aura, bleibt es doch ein Rätsel, wer die besungene Person denn eigentlich ist. Bewertung: 5/5 Punkte.
Seltsam: Pesco-Vegetarier Farin Urlaub erklärt uns in unnachahmlich witziger Weise, was am Pelze tragen schlecht ist und was mit Personen getan werden sollte, die dies trotzdem tun. Unterlegt wird dieses Manifestchen mit gutem Midtempo-Rock. Bewertung: 4/5 Punkte.
Krieg: An dieser Stelle driftet die Platte erstmals in etwas poppigere Gefilde ab. Die Gitarrenparts sind weicher, der Refrain eingängiger, der Text einmal mehr sehr amüsant. Hier wird auf ironische Weise moniert, über welche Kleinigkeiten der Mensch sich aufzuregen imstande ist: Sonderangebote im Elektrofachgeschäft! Drängler auf der Straße!! Pelz tragende Menschen? Bewertung: 4/5 Punkte.
Pakistan: Ein Album ohne Fernweh ist im Universum des Weltenbummlers Farin Urlaub undenkbar. In der Tradition von Stücken wie „Abschiedslied“ und „Augenblick“ schafft es diese Ode ans Verreisen, Euphorie mit Sehnsucht zu vereinen. Es ist schön, es ist lebendig, es ist das vielleicht beste Stück des Albums. Bewertung: 5/5 Punkte.
Niemals: Nach dem Höhepunkt folgt der tiefe Fall. Dieses Lied ist noch viel, viel schlechter als diese Überleitung und meiner Meinung nach wirklich der absolute Tiefpunkt. Hier ist wohl Oli.P als Ghostwriter eingesetzt worden. Den Refrain hätten auch 90er-Jahre Teenie-Schmerz-Pop-Bands nicht schwülstiger hinbekommen. Obendrein ist das auch noch als zweite Singleauskopplung auserkoren worden. Bewertung: 1/5 Punkte.
Die Leiche: Ein akustisches Stück mit morbidem Text. „Es schwimmt eine Leiche im Teich“ und nach fünf Strophen wird auch dem Letzten klar, dass es sich wohl um die Person handelt, auf die der Ich-Erzähler seit Tagen wartet. Das Ganze wirkt auf mich wie der zweite Teil zu „Nur einen Kuss“ vom letzten Die Ärzte-Album Jazz ist anders, nur weniger gut gelungen und hätte auch als WIZO-Song gut funktioniert. Bewertung: 3/5 Punkte.
Monster: Farin Urlaub hat ganz offensichtlich ein Faible für mittelschnelle Rocknummern entwickelt. Die vorangegangenen etwas schwächeren Songs werten „Monster“ zwar ein wenig auf, es ist aber nicht mehr als eine durchschnittliche Nummer mit etwas ödem Text. Bewertung: 3/5 Punkte.
Atem: Ich finde es ja legitim, einen völlig ironiefreien Song über Liebe zu schreiben. Doch ist „Atem“ überhaupt ironiefrei? Klingt schon danach. Allerdings können Textzeilen wie „Ohne dich bin ich nicht viel, wie ein Besen ohne Stiel“ doch nicht ernst gemeint sein, oder? Der Text macht das sonst ganz nette Lied kaputt. Bewertung: 2/5 Punkte.
Karten: Einen Kracher erster Kajüte hat sich das Farin Urlaub Racing Team aber noch für den Schluss des Großen Albums aufgehoben. Das Stück über eine Person mit sozialen Phobien hat noch mal alles, was einen großartigen FURT-Song ausmacht: Gut geschriebene Texte, schöne Melodien, Bläser und natürlich ROCK! Bewertung: 5/5 Punkte.
I.F.D.G.: „Das Leben kann so schön sein“ – dies ist der Soundtrack zum hedonistischen Lebensentwurf: In der Nase bohren, absichtlich zu spät kommen, tanzen, obwohl man auf der Guter-Tänzer-Skala eingeteilt von eins bis zehn bei Minus sieben stünde – das kann man alles gut finden. Das Lied ist zurücklehnt, streckt den Mittelfinger in alle Richtungen und ist über alledem erhaben. Bewertung: 4/5 Punkte.
Zu heiß: Und im Sommer kann man das gepflegte Nichtstun aufs Wetter schieben. Dieses Stück vertont die glühende Sommerhitze so adäquat wie zuletzt Vivaldis Violinkonzert L’Estate – Der Sommer. Da möchte niemand seinen Luxuskörper aus der Hängematte bewegen. Bewertung: 4/5 Punkte.
Insel: Wer hier ganz laut „Seeed“ schreit, hat von Dancehall so wenig Ahnung wie ich. Das vom Farin Urlaub-typischen Sound wohl am weitesten entfernte Stück braucht auch einige Durchläufe, bis man sich an den Sprechgesang gewöhnt. Alle Vorurteile abgelegt, macht das Lied aber eine Menge Spaß. Eine Hymne gegen den Kapitalismus, in dem selbst Marx’ Das KapitalBewertung: 4/5 Punkte. Rechnung getragen wird: „Der Mehrwehrt, den wir schaffen, macht andere reich und die bauen sich dann Villen oder kaufen sich gleich eine Insel…“.
Trotzdem: Waren die ersten drei Offbeat-Stücke allesamt Überraschungen, stellt „Trotzdem“ den typischen Ska-Sound dar, wie ihn (Ska-)Punkbands zuhauf spielen. Das soll nichts schlechtes heißen. Es ist flott, geht in die Beine, macht Spaß und ist ein würdiger Abschluss. Bewertung: 4/5 Punkte.
Fassen wir zusammen: Das Farin Urlaub Racing Team haut uns auf diesen eineinhalb CDs mehr Hits um die Ohren als so manch andere Band in eineinhalb Jahrzehnten. Dennoch gibt es drei Ausfälle. Insgesamt aber eine runde Sache. Nur, was hat es jetzt eigentlich mit der Wahrheit übers Lügen auf sich?
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